Pricing: Modelle und Vorgehen
Die Psychologie des Preises
Eines meiner Lieblings-Themen im Marketing ist das Pricing; der hässliche, aber talentierte Onkel in der Marketing-Familie.
Meiner Erfahrung nach ist das Thema Preissetzung für viele Unternehmen hoch sensibel und oftmals gar tabuisiert. Viele Preise haben sich „irgendwie organisch“ und „aus dem Bauch heraus“ entwickelt. Der strategische Einsatz von Pricing ist hingegen eher die Ausnahme.
Dabei kann der Preis das Marketing dominieren. Sobald Sie einen Wein oder eine Flasche Olivenöl mit einem Preisschild versehen, machen Sie mehr Aussagen über die Qualität und das Produkt als mit jeder Kommunikationsmassnahme.
Ob günstig oder teuer: Der Preis ist eine der wichtigsten Informationen vor einem Kauf. Er ist der pinke Elefant mitten im Raum, über den niemand sprechen will.
Doch welche Überlegungen soll man sich machen bevor man einen Preis für sein Angebot setzt? Fünf Denkanstösse zum Thema Pricing:
Der Grundsatz „Was nichts kostet ist nichts wert“ steckt tief in uns
Bereits unsere Sprache verrät: Billig oder „cheap“ bedeutet nicht nur günstig sondern auch schlecht in der Qualität. Dinge, die „mir teuer“ sind, verstehen wir hingegen als wichtig und hochwertig.
Höhere Preise sind oftmals ein Qualitätssignal und führen zu mehr Verkäufen als ein tiefer Preis. Bezeichnend dafür ist das Phänomen der Preisführerschaft: Der Marktführer ist in vielen Branchen derjenige, der die Preise nach oben festlegt.
Die Konkurrenz orientiert sich daran und bietet ihr Angebot zu günstigeren Konditionen an – und verliert so an Marge, die dann bei Innovation, Kommunikation und anderen wichtigen Bereichen fehlt.
Ein klassisches Beispiel dieses Phänomens ist der Energy Drink-Markt. Der Marktführer Red Bull ist auch der Preisführer mit dem teuersten Produkt.
Fragen Sie Ihre Kunden nicht, welchen Preis sie zu zahlen bereit sind. Sie wissen es nicht
Kaufprozesse und andere komplexe Entscheidungen verlaufen zu grossen Teilen unbewusst und irrational. Folgendes Video von Dan Ariely zeigt dieses Phänomen wissenschaftlich fundiert auf.
Folgender Case aus dem Video ist dabei zentral für das Verständnis des Themas Pricing:
Potenziellen Käufern eines Economist-Abos wurden drei Abschlussmöglichkeiten offeriert:
- ein Online-Abonnement für $59
- ein Print-Abo für $125
- und ein Kombi-Abo (Print und Online) ebenfalls für $125
Das reine Print-Abo wurde nie gekauft, weil es weniger Leistung zum gleichen Preis verspricht. 16% entschieden sich für das reine Online-Abonnement und 84% für das Kombi-Abo.
Rational betrachtet kann man die zweite Variante (reines Print-Abo) der Angebotspalette also weglassen, weil sie keinen Einfluss auf die Kaufentscheidung hat – und das war es auch, was in diesem Versuch geschah. Erstaunlicherweise führte dieses Weglassen einer unsinnigen Variante durchaus zu einer Änderung des Kaufverhaltens: Die Verhältnisse der Abo-Bestellungen der verbliebenen zwei Varianten kehrten sich nämlich um.
Rational ist dieses Phänomen nicht erklärbar – es ist die menschliche Tendenz zum mittleren Angebot. Und dies ist nur eine der vielen irrationalen Handlungen, wenn es um Preis und Leistung geht.
Fragen Sie Ihre Kunden deshalb nicht, welches der richtige Preis für ein Angebot ist – die Antworten werden Sie auf die falsche Fährte locken. Kunden sagen immer, günstiger wäre besser. Aber in uns steckt eben auch der Drang sich vom Bisherigen zu lösen und Besseres, Hochwertigeres und damit Teureres anzustreben. Kunden denken nicht über den Preis nach, sie fühlen ihn. Preise wecken Bedürfnisse, triggern Neid, Enttäuschung, Lust und viele weitere Emotionen. Rationales Nachfragen kann diesen Gefühls-Cocktail nicht entwirren.
Segmentieren Sie Preise
Wie können wir den richtigen Preis setzen ohne die Kunden zu befragen? Bei genauerer Betrachtung realisieren wir, dass die Frage zu kurz greift. Die richtige Frage ist „Welche Preise sind perfekt für meine Kunden?“.
Menschen haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse und Möglichkeiten. Sie brauchen deshalb eine Auswahl an Angeboten und Preisen, die dieser Vielfalt entspricht.
Schauen wir uns dieses Phänomen am Beispiel EasyJet an. Wie fast alle Airlines setzt EasyJet Dynamic Pricing ein. Das heisst die Preise eines Fluges werden nach der erwarteten Auslastung, den bisherigen Buchungen und den Konkurrenzbuchungen bestimmt, was zu einer massiven Effizienzsteigerung führt. (Zur Funktionsweise von Dynamic Pricing bei Airlines findet sich hier ein sehr ausführlicher Text).
Im Anschluss an die Buchung werden dem Reisenden aber noch weitere Angebote gemacht, die den Preis des Fluges deutlich erhöhen können. So bezahlt man bei Bedarf für die Festlegung eines bestimmten Sitzes,
für die Aufgabe von Gepäck,
und für eine separate Reiseversicherung je nach Bedürfnis eine separate Fee.
Nach Abschluss der Buchung hat man dann noch die Möglichkeit ein Hotel zu buchen und ein Auto zu mieten. All diese Zusatzentscheidungen segmentieren Kunden nach deren Bedürfnissen und schaffen so massgeschneiderte Preise.
Oder betrachten wir uns das Beispiel Spotify. Der Musik-Streaming-Dienst macht unterschiedliche Angebote für vorläufig Kaufunwillige (ja, auch das ist eine interessante Zielgruppe), Kaufwillige, PS3-Gamer und Familien – ein Angebot für jedes Bedürfnis:
Fazit: Ideal ist es die Vielfalt menschlicher Bedürfnisse in der Pricing-Strategie abzubilden. Segmentieren Sie Ihre Zielgruppe und machen Sie allen Clustern passende Angebote.
Experimentieren Sie mit Ihren Preisen
Dynamische Preisgestaltung ist sicherlich ein Trend, der auch für weitere Branchen wie den Online-Handel interessant ist.
Jedoch sollte auch berücksichtigt werden, dass Markenbildung immer auch mit Aufrichtigkeit gegenüber den Kunden einhergeht – auch beim Preis. Bemerken Kunden, dass sie höhere Preise zahlen als andere (einfach weil sie diese zu zahlen bereit sind) besteht die akute Gefahr diese zu verlieren und der Marke irreparablen Schaden zuzufügen. Das sieht man beispielsweise bei der negativen Berichterstattung zu ersten Dynamic-Pricing-Versuchen bei Coop (z.B. in diesem Watson-Artikel).
Das Experimentieren mit Preisen ist hingegen sehr empfehlenswert. Ziel ist es dabei eine Maximierung der Marge zu erreichen (also den „Sweet Spot“, an dem man mit möglichst wenig Aufwand/Kosten ein Maximum an Ertrag erreicht).
Diesen „Sweet Spot“ werden Sie nur mit Experimenten evaluieren können. Versuchen Sie dies! Sie werden bestimmt bessere Ergebnisse erzielen als mit einer Bauch-Entscheidung oder durch Kundenbefragungen.
Hohe Marge oder grosse Zielgruppe?
Damit Ihr Unternehmen finanziell erfolgreich sein kann, muss das Geschäftsmodell eine der folgenden Bedingungen erfüllen:
- eine grosse Zielgruppe (z.B. Amazon, Fast Moving Consumer Goods)
- eine hohe Marge (z.B. Ferrari, Luxus-Produkte)
- eine grosse Zielgruppe und eine hohe Marge (z.B. Apple-Produkte oder Angebote, die Anbieter sehr reich machen)
Dieser Grundsatz klingt banal, wird jedoch bei vielen Produkteinführungen und Firmengründungen vernachlässigt.
Sehen wir uns als Beispiel die Einführung von Paywalls für Zeitungen an. Die New York Times hatte dieses Modell eingeführt mit grossem finanziellem Erfolg.
Schweizer Zeitungen (insb. NZZ und Tagesanzeiger) sahen darin auch für sich eine Lösung der journalistischen Einkommenskrise und haben – mit explizitem Verweis auf die New York Times – ebenfalls eine Paywall eingeführt.
Jedoch ist die Zielgruppe der New York Times ist um ein vielfaches grösser (sprachlich und lokal). So verlor die New York Times mit der Einführung der Paywall zwar 98.7% der Leser. Doch die restlichen gut 1% der Leser waren immer noch eine so grosse Zielgruppe, dass sich das Modell auszahlte.
Für Schweizer Zeitungen wird es schwer diese Skalierung zu erreichen – die Zielgruppe ist schlicht zu klein, als dass die Zahlungsbereitschaft einer tiefen einstelligen Prozentzahl den journalistischen Aufwand refinanzieren könnte (über die Problematik von Pay Walls habe ich bereits hier geschrieben).
Die Ironie der Geschichte: Tagesanzeiger und NZZ haben mit der Paywall einen grossen Teil der Leser verloren (ca. 1/3 gemäss NetMetrix-Zahlen ) – und kannibalisieren damit das zweite Geschäftsmodell Ihrer Websites: Die Online-Werbung, die hohe Margen aufweist.
Fazit
Pricing ist ein zentraler Aspekt bei der Etablierung eines Geschäftsmodells. Das Online Marketing-Umfeld erlaubt es uns schlanke Tests mit unterschiedlichen Preisen durchzuführen und so Möglichkeiten der Preisgestaltung zu erkennen. Es lohnt sich diese Möglichkeiten gezielt einzusetzen.
Möchten Sie eine Beratung zum Thema Pricing, Online Marketing und digitale Mediaplanung? Dann nehmen Sie jetzt Kontakt auf.