Journalismus der Zukunft
Die Zukunft des Journalismus im Online-Umfeld 2015
Ein bewegtes journalistisches Jahr geht zu Ende und die Verlage müssen konstatieren: Die Realität hat die Prognosen überholt. Der digitale Wandel im Verlagsgeschäft ist kein Ereignis der nahen Zukunft mehr, sondern Realität des Alltags. Viele Verlage haben reagiert und fahren eine neue Strategie – in der Schweiz vor allem mittels Paywalls. Doch eine Auswertung zeigt, dass sich dieses Vorgehen nicht rechnet. Deshalb wird wohl bald ein Grundprinzip des Journalismus in Frage gestellt: Die Trennung von Werbemarkt und redaktionellen Inhalten. Doch überwiegen dabei Gefahren oder Chancen? In jedem Fall muss gerade jetzt ein Kampf um die Zukunft des Journalismus entbrennen – es ist nötiger als jemals zuvor. Eine Erörterung.
Zwar sprach man in der Branche schon länger vom Anpassungsdruck, doch war die Medienwelt wohl nicht gefasst durch einen solchen „Hurrikan des Wandels“ zu gehen. Printzeitungen verlieren weiter massiv an Relevanz und Auflage. Online sind die Nutzer hingegen nicht bereit für News zu bezahlen. Die Wertigkeit von Information hat sich in der Informationsgesellschaft zu stark abgenutzt und Aufmerksamkeit ist zum entscheidenden Gut geworden. Dafür Geld zu verlangen erscheint als Relikt früherer Zeiten.
Wie immens die Herausforderungen sind, ist beispielsweise bei der hochinteressanten Schilderung des 11-jährigen Schlingerkurses der NZZ von Marc Böhler nachzulesen oder in Cordt Schnibbens Abrechnung mit Wolfgang Büchners Spiegel-Strategie. Klar sichtbar dabei: Die Verlage sind den digitalen Herausforderungen aufgrund ihrer Firmenkultur oft nicht gewachsen.
Noch offensichtlicher werden die Mühen der Verlage beim Thema Leistungsschutzrecht. Die Idee Google für die Verlinkung von Verlagsinhalten zur Kasse zu bitten, ist so kreativ wie unsinnig und widerspricht dem Charakter des Internets als Ganzes. Nach dem krachenden Scheitern des tatsächlich umgesetzten Gesetzes in Deutschland ist Hoffnung angebracht, dass die Idee mittlerweile zumindest in der Schweiz für tot erklärt werden darf.
Wir befinden uns inmitten der Debatte über künftige Formen von Journalismus und neben vielen sich mühenden Verlagen entstehen immer mehr innovative und erfolgsversprechende Konzepte (vgl. das Projekt 2020 des Spiegels).
Doch welches Modell verfolgen Schweizer Verlage?
Rückblick auf Voraussagen im Juli 2013
Im Juli 2013 habe ich im ZipMedia-Blog einen Artikel verfasst zur Zukunft der Zeitung und über Modelle, die eine neue Art von Journalismus ermöglichen könnten. Nun, eineinhalb Jahre später, ist es Zeit zurückzublicken und ein erstes Fazit zu ziehen. Damals habe ich folgende Modelle als Verlagsstrategien der Zukunft definiert:
- Paywalls (strikt und metered)
- Social Payments
- Das Huffington Post-Modell mit mehr oder weniger freien Autoren
- Verlage als Gemischtwarenhändler
- Das Modell Guardian mit der Strategie hervorragenden Journalismus zu einem späteren Zeitpunkt zu monetarisieren
Die Schweizer Verlage haben sich mittlerweile zum grossen Teil für das Modell der Paywall entschieden. Der Gedanke dahinter ist, dass Leute früher für News Geld gezahlt haben und diese Bereitschaft deshalb heute auch noch da ist. Mit dem Bund und den Westschweizer Plattformen Tribune de Genève und 24 Heures werden sich 2015 die letzten Gratis-Plattformen von Tamedia hinter einer Paywall verstecken. Die NZZ und viele lokale Zeitungen haben diesen Schritt schon hinter sich.
Paywalls: Die Verlage schaden sich selber
Das Modell der Paywall mag in Einzelfällen durchaus funktionieren, wenn man den Nutzern einen einmaligen Dienst zur Verfügung stellt. Wenn beispielsweise Konrad Hummler zu einem stattlichen Preis Finanztipps auf seinem Blog Bergsicht gibt, können diese Informationen für eine gewisse Gruppe durchaus attraktiv sein und das Modell sich auszahlen.
Das Problem der klassischen Verlage ist, dass sich News so nicht verkaufen lassen, weil deren Wert in unserer Informationsgesellschaft schlicht nicht gross genug ist. Auch wenn Meinungen, Kommentare und Interviews veröffentlicht werden, wird das die Menschen kaum dazu verführen eine solch hohe Anzahl von Digitalabos zu bestellen, um damit eine gute Redaktion bestücken zu können.
Betrachten wir dazu den konkreten Fall Tagesanzeiger / Tamedia:
Gemäss eigenen Aussagen verkaufte man in den ersten fünf Monaten nach der Einführung der Paywall 7’400 Digital-Abos. Wie viele dieser 7’400 Abos tatsächlich auf die Paywall zurückzuführen sind, ist schwierig zu sagen, denn sowohl Testabos ohne spätere Abo-Bestellung als auch Wechsel vom Print- auf Digital-Abos sind darin enthalten. Ausserdem hat das Angebot direkt nach der Neuschaffung wohl grössere Nachfrage erhalten als es jetzt der Fall ist. Ironischerweise berichtete der Tagesanzeiger selber über die fehlende Wirtschaftlichkeit des NZZ-Paywall-Systems im Mai 2013.
Doch mit der Paywall verdient man nicht nur zu wenig, sie schadet auch massiv dem eigenen Werbemarkt. Dies ist an den Net Metrix-Zahlen für den Tagesanzeiger abzulesen. Betrachten wir dazu die Zugriffe von Unique Clients (also: Personen auf der Seite) und Page Impressions auf www.tagesanzeiger.ch in den letzten zwölf Monaten:
Die Zahl der Page Impressions ist nach der Einführung der Paywall im April 2014 massiv eingebrochen (Rückgang von März zu Mai 42%!). Der November 2014 war der schlechteste Monat überhaupt, was die Page Impressions angeht. Die negative Tendenz ist langfristig.
Gleichzeitig sehen wir, dass die Unique Clients einigermassen stabil blieben. Wenn jedoch die Page Impressions so stark sinken, müssten eigentlich auch die Besucher etwas zurückgehen. Wieso geschieht dies hier nicht? Der Grund ist ganz einfach. Verlage können keine strikte Paywall einrichten, weil sie sich damit quasi aus Suchmaschinen raus-indexieren und damit einen Grossteil des Traffics verlieren würden. Deshalb nutzen Sie die Metered Paywall, die nach einer gewissen Anzahl Artikel keinen Zugriff mehr zulässt. Es ist kein grosses Geheimnis, dass sich diese Metered Paywall umgehen lässt durch Browserwechsel, Cookie-Löschung oder durch das Surfen im Inkognito-Modus. Das erklärt auch den stabilen Zugriff von Unique Visitors – ein Grossteil der Nutzer hat seine mehrfachen Zugriffe einfach verschleiert und wurde dadurch mehrmals gezählt.
Zusammenfassend haben Nutzer auf zwei Arten auf die Paywall reagiert:
- Viele Nutzer haben sich andere Informationsquellen gesucht
- Andere Nutzer haben ihre Mehrfachnutzung mit einfachen Tools verschleiert
Nun könnte man natürlich argumentieren, dass sich so die Spreu vom Weizen trennte und man zwar weniger Gratis-Besucher auf der Seite, dafür aber ein paar Digitalabos mehr verkauft hat. Auf den ersten Blick ein guter Deal.
Aber für die Werbung auf der Tagesanzeiger-Website muss diese Entwicklung dramatisch sein aus zwei Gründen:
Die Verluste und verpassten Chancen aus diesen beiden Entwicklungen werden Digitalabos, auch wenn es die besprochenen 7’400 in fünf Monaten sind, nicht aufwiegen können. Meine Prognose deshalb: Langfristig wird sich dieses Modell so nicht durchsetzen können, insofern wir nicht mit einer revolutionären Journalismus-Art konfrontiert werden, die eine breite Öffentlichkeit überzeugt, dass dies eine regelmässige Investition wert ist.
Paradox dabei: Je erfolgreicher die Paywall ist, umso schwieriger wird es werden sie wieder zu eliminieren. Einerseits, weil man bestehenden Abonnenten dies erklären muss, andererseits weil die Bezahlschranke irgendwann einen Betrag in die Kassen spült, auf den man nicht verzichten will – auch wenn die Verluste aus dem Werbemarkt höher sind.
Unternehmen interessieren sich für innovative Strategien
Das Setzen auf die Paywall-Strategie ist umso unverständlicher, weil gerade jetzt Unternehmen immer mehr Geld in Online-Kanäle investieren. Viele Firmen sind stark daran interessiert, neue Formen der Zielgruppenansprache in digitalen Medien zu finden und Partner, die dies ermöglichen, haben gute Chancen auf lohnenswerte Deals. Es ist das Paradox der Informationsgesellschaft: Gute Unternehmenskommunikation ist wichtiger denn je, doch viele Provider von Informationen stecken in der grössten Krise ihres Schaffens.
Weitere Modelle: Bewährung steht noch aus
Werfen wir einen Blick auf die weiteren Modelle des künftigen Journalismus:
Das Huffington-Post-Modell und Social Payment sind weiterhin Nischen, die durchaus Potenzial aufweisen. Für eine breite Abdeckung haben sie sich aber bisher noch nicht hervorgetan.
Ringier mit seinem Flaggschiff Blick hingegen hat sich 2014 überraschend gegen eine Paywall entschieden und bewegt sich nun klar in Richtung eines Verlags als Gemischtwarenhändler. Auf www.blick.ch können mittlerweile nicht mehr nur Infos gefunden, sondern auch Produkte gekauft werden. Statt einer Paywall baut Ringier auf eine konsequente Einbindung der in den letzten Jahren geschickt akquirierten Unternehmen der Online-Branche (eine Vielfalt, die übrigens auch bei Tamedia vorhanden wäre). Hier zeigt sich die Offenheit von Ringier CEO Marc Walder gegenüber den neuen Entwicklungen der Szene. Wird die Integration weiter verstärkt kann sich daraus ein sehr interessantes Modell entwickeln.
Native Advertising: Auseinandersetzung unabwendbar
Im Journalismus stand bisher ein Credo über allen anderen: Werbemarkt und Journalistische Inhalte müssen getrennt bleiben. Doch eine ebenso umstrittene wie erfolgreiche neue Variante von Werbung in Online Medien hat in den letzten Jahren Einzug gehalten und die beiden Bereiche vermischt: Native Advertising. Dabei geht es darum, Unternehmensinformationen mittels journalistischer Tools zu vermitteln. Anders gesagt: Werbung wird in ähnlicher Art präsentiert wie journalistische Inhalte und erhält dadurch erhöhte Aufmerksamkeit.
Oftmals sehen Anzeigen dann eher aus wie redaktionelle Inhalte, auch wenn eine klare Kennzeichnung verpflichtend ist. Gleichzeitig ist auch der Informationsinhalt viel höher und nicht in erster Linie promotionsartig.
Schlussendlich heisst Native Advertising Lernen von Google und Facebook. Auch dort werden Nutzern relevante Informationen präsentiert in ähnlicher Form wie die organischen Resultate. Doch der Grat zwischen einem neuen erfolgreichen Modell zur Finanzierung von Journalismus und dem Verlust redaktioneller Unabhängigkeit ist zugegebenermassen schmal. Der Satiriker John Oliver hat dies in seiner typischen britisch-spöttischen Art aufgenommen und die Problematik für das klassische Journalismus-Modell aufgezeigt:
Doch ist Native Advertising tatsächlich das Ende unabhängiger Medien? Mit einem Blick auf die Wissenschaft können wir sagen, dass ein gewisses Verbandeln von Wissenschaft und Wirtschaft durchaus zu guten Resultaten führen kann. Silicon Valley mit seinen Top-Universitäten Stanford und Berkeley, Schweizer Hochschulen oder die ETHs sind Beispiele dafür. Die Arbeit dieser wissenschaftlichen Einrichtungen wird nicht schlechter, wenn sie in Zusammenarbeit mit Unternehmen geschieht.
Vielleicht könnte ein zukünftiges Modell für erfolgreichen Journalismus eine Art Native Journalism sein. Unternehmen geben Verlagen Aufträge zu gewissen Themen zu recherchieren und dann unabhängig darüber zu schreiben. So können sie Content Marketing auf externen Plattformen betreiben.
Natürlich müssten dabei einige Regeln zu beachten sein. So zum Beispiel:
- Transparenz-Vorschriften für das Artikel-Sponsoring (etwas, was im aktuellen, von PR geprägten News-Umfeld sowieso Not täte)
- Garantie journalistischer Unabhängigkeit
Weil klassische Werbung immer weniger Aufmerksamkeit erhält, kann ein journalistisches Erarbeiten von Inhalten, die für Unternehmen wichtig sind, eine interessante Alternative für die Zukunft darstellen. Im Idealfall wird dieses Modell mit hervorragendem, komplett unabhängigem Journalismus ergänzt, der Nutzer auf die Seite bringt und über den Native Journalismus quersubventioniert wird. Gerade für die lokale Kommunikation könnte dies eine riesige Chance sein und eine Möglichkeit Relevanz sowie breite Abdeckung zu erreichen.
Staatlicher Journalismus wird künftig noch stärker werden müssen
In jedem Fall sehen wir, dass die Medienkrise jede Art von Journalismus beeinträchtigt. Solange keine wirklich funktionierenden Modelle durchgesetzt werden, muss der Staat gewisse journalistische Grundlagen sichern. Wenn beispielsweise der Kriegsreporter Kurt Pelda grosse Mühe hat seine mutige, preisgekrönte und wirklich notwendige Arbeit zu finanzieren, muss der Staat einspringen und dies uneingeschränkt ermöglichen.
Wie die Verlagskonzepte der Zukunft auch immer aussehen mögen: Grossartigen und unabhängigen Journalismus müssen wir uns als Gesellschaft leisten. Wenn wir nicht innovativer werden und den Journalismus neu erfinden, steht eine der wichtigsten demokratische Errungenschaften auf dem Spiel; eine Errungenschaft, die wir gerade jetzt dringend benötigen.